Aufwändige Komplettsanierung des denkmalgeschützten Gasometers in Oberhausen
Das Gesicht des Ruhrgebiets ist wie keine andere Region vom Strukturwandel geprägt: Wo einst Kohle gefördert wurde, finden sich heute vielseitige Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Das Ruhrgebiet hat sich mit dem sensiblen Erhalt und der Umnutzung seiner Industrierelikte neu erfunden. Ein erfolgreiches Beispiel für eine solche Transformation ist der Gasometer in Oberhausen. Mit seiner Höhe von 117,5 Metern, einem Durchmesser von knapp 68 Metern und einem Fassungsvermögen von 347.000 Kubikmetern bietet das Bauwerk ideale Voraussetzungen für Kunstprojekte außerhalb der Norm. So sorgten seit den 90er Jahren verschiedenste Ausstellungen – darunter gleich zwei des renommierten Künstlers Christo – für überregionale Aufmerksamkeit und Besucherströme aus der ganzen Welt.
Landmarke mit 117,5 Metern Höhe
Der Gasometer Oberhausen wurde zwischen 1927 und 1929 vom MAN Werk Gustavsburg für die Eisenhütte Oberhausen errichtet und für die Speicherung des Hochofengases genutzt. Später diente das Bauwerk der Kokerei Osterfeld als Speicher für Kokereigas. Nach seiner Stilllegung wurde zunächst ein Abriss in Erwägung gezogen. Schließlich wurde das Bauwerk auf Vorschlag der IBA Emscher Park umgebaut – und von Juli 1994 an als Ausstellungs- und Veranstaltungsort genutzt. Anfang der 2000er Jahre erfolgten erste Sanierungsarbeiten am Gasometer. Aufgrund der zuletzt erneut schlechter werdenden Bausubstanz – an zahlreichen Stellen wies das Industriedenkmal Korrosionsschäden auf – entschied sich der Bauherr, die Gasometer Oberhausen GmbH, im Jahr 2018 für die denkmalgerechte Komplettsanierung des ehemaligen Gasspeichers. Die Maßnahme hatte das Ziel, insbesondere die Hülle und das Tragwerk bis mindestens ins Jahr 2050 vor weiteren Schäden zu schützen. Den Auftrag für die Planung erhielt das Büro Lindner Lohse Architekten BDA aus Dortmund, welches im Rahmen des Verhandlungsverfahrens vor allem mit seinem interdisziplinären Sanierungskonzept und der geplanten Vorgehensweise überzeugen konnte.
Gebäudehülle aus Stahl
Der Gasometer Oberhausen wurde in typischer MAN-Bauweise errichtet, die eine Weiterentwicklung der bis dahin üblichen Teleskopspeicher darstellte. Im Inneren des 24-eckigen Zylinders befindet sich eine Gasdruckscheibe, die sich ursprünglich – je nach Gasstand – wie ein Kolben auf und ab bewegen konnte. Heute ist diese an der Außenhülle fixiert. Unter der Scheibe erstreckt sich ein kreisrunder Ausstellungsraum. Das Dach des Gasometers besteht aus 24 Fachwerkträgern, die radial im sogenannten Königspunkt zusammenlaufen. Oberhalb ist die übrige Dachkonstruktion aufgelagert. 24 horizontal liegende, polygonale Doppel-T-Träger bilden die Außenhülle. Dazwischen lagern 8,80 Meter lange, 0,81 Meter hohe und fünf Millimeter dicke aufgenietete Mantelbleche. Zudem eröffnet ein gläserner Panoramaaufzug besondere Blickwinkel auf die jeweilige Installation. Die Ausstellungen in Verbindung mit dem besonderen Raumerlebnis sowie der Ausblick vom Dach auf das westliche Ruhrgebiet sind demnach einzigartig. Seit dem Jahr 1996 steht der gesamte Gebäudekomplex inklusive aller Anlagenteile unter Denkmalschutz.
Für uns als beauftragtes Architekturbüro war die Bauaufgabe insofern besonders spannend, da es sich um kein klassisches Architekturprojekt handelte
Stattdessen lag der Schwerpunkt auf dem Stahlbau und dem Korrosionsschutz. Eine besondere Herausforderung stellte auch die knapp bemessene Planungs- und Bauzeit dar. Anderthalb Jahre waren dafür vorgesehen.
Bei einem solchen Projekt muss man immer mit Unvorhergesehenem rechnen – beispielsweise im Hinblick auf den Zustand der Bausubstanz oder die Wetterverhältnisse.
Der Startschuss für die Sanierung fiel schließlich im März 2019. Eine intensive Bestandsaufnahme bildete den Auftakt. Rund 10.000 Fotos wurden zur Schadensdokumentation erstellt. Alle Schäden wurden entsprechend erfasst und gekennzeichnet und der Sanierungsumfang individuell festgelegt. Im November desselben Jahres starteten die Sanierungsarbeiten.
3.500 Strahlschutt
Die Sanierung der Außenhülle erfolgte in vier Bauabschnitten und war mit hohem Aufwand verbunden. Als erstes fand die Erneuerung des Fundamentsockels statt. Dazu mussten zunächst der Beton und bröseliges Mauerwerk rund um die Sockel entfernt werden. Im Anschluss wurde der Sockel neu bewehrt, geschalt und betoniert. Parallel demontierten Industriekletterer mit Unterstützung eines Spezialkrans Anbauteile wie Treppen und Ausbläser. Die anschließenden Maßnahmen erforderten die Montage eines 30.000 Quadratmeter umfassenden Fassadengerüsts. 1.000 Tonnen Gerüstbau-Material kamen hierbei zum Einsatz. Um ein Verwehen von Rost und Farbresten im Zuge der Abstrahlung zu verhindern und konstante Verarbeitungstemperaturen zu gewährleisten, wurde das Gerüst zudem mit einer dichten weißen Plane verhüllt. Mittels Feststrahltechnik und unter Unterdruck entfernte die Spezialfirma Rodopi zunächst die 14 alten Farbschichten und den Rost. Im Laufe der Baumaßnahme wurden rund 3.500 Tonnen Strahlschutt abgesaugt und als Sondermüll der Entsorgung zugeführt. Innerhalb der Einhausung galt es, einzelne Abschnitte dicht abzuschotten, um einen Übertritt von Strahlstaub in angrenzende Bereiche – zum Beispiel jene mit frischer Beschichtung – zu verhindern. Erschwerend hinzu kam das Vorhandensein von Gefahrstoffen. So kam damals – beim Bau des Gasometers – giftige Bleimennige zur Anwendung, ein Stoff der heute gar nicht mehr zulässig ist. Zur Sicherung kontaminierter sogenannter Schwarz-Bereiche waren daher spezielle Schleusen notwendig.
Auftrag der neuen Farbschicht
Nach Entfernen der alten Schichten erhielt der Gasometer seinen neuen Anstrich, bestehend aus einer Grundierungs- und Zwischenschicht aus 2K-Epoxidharz-Zinkstaub sowie zwei Deckschichten aus 2K-Polyurethanharz. Der Farbton für die oberste Schicht wurde eng mit dem Denkmalschutz abgestimmt. Da seit dem Wiederaufbau des Gasometers 1949 mehrere Anstriche übereinander folgten und keine Farbfotos aus der Zeit existieren, war die ursprüngliche Farbe nur schwer zu ermitteln. Die aufwändigen Untersuchungen zur Bestimmung der Originalfarbe führte das LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland durch. An unterschiedlichen Stellen wurden Proben genommen und die einzelnen Farbschichten bestimmt. Die Entscheidung fiel schließlich auf einen braunen Grundton mit oxydrötlicher Einfärbung, ähnlich des Farbtons, der beim Wiederaufbau 1949 verwendet wurde. Dieser ist jedoch im Gegensatz zur Originalfarbe mit Eisenglimmer für den Korrosionsschutz versetzt. Auch die Treppen wurden in Braun gestrichen. Die Umläufe erhielten einen Grünton in Anlehnung an den der 1970er Jahre.
Arbeiten auf und unter dem Dach
Neben der Fassade fanden auch Sanierungsarbeiten am Dach statt. Für diese Arbeit griffen die Projektbeteiligten auf Spezialroboter zurück, die die Farbschichten mittels Hochdruck-Wasserstrahlverfahrens entfernten. Im Inneren des Gasometers erfolgte das Entrosten der 24 Stahlträger dagegen per Hand. Ausgerüstet mit Atemmasken und Spezialanzügen arbeitete das Team des Beschichtungsunternehmens auf einer Arbeitsbühne in knapp 110 Metern Höhe.
Anspruchsvolle Planung und Koordination
Nicht nur die Arbeiten selbst, auch die Planung und Koordination erwiesen sich als anspruchsvolle Aufgaben. Für die Baumaßnahme erstellten die Architekten einen detaillierten Ablaufplan, der den genauen Umfang und die vorgesehene Dauer der einzelnen Arbeitsschritte umfasste. Dieser Plan wurde im Zuge der Baumaßnahme kontinuierlich angepasst und aktualisiert. Um den Baufortschritt und das weitere Vorgehen zu besprechen, fanden regelmäßige Planungs- und Baubesprechungen sowie Begehungen mit dem Bauherrn, dem LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland und den zahlreichen weiteren Projektbeteiligten statt. In der Verantwortung der Architekten lag auch die Vergabe der Bauleistungen an die ausführenden Firmen sowie die Abstimmung und Koordination. Um die anspruchsvolle Baustelle und die Fachfirmen zu managen, waren die beiden verantwortlichen Bauleiter des Architekturbüros, Judith Klaas und Daniel Seel, permanent vor Ort. So arbeiteten zeitweise bis zu 120 Beschäftigte gleichzeitig auf der Baustelle und trieben das Projekt voran. Um die knapp bemessene Bauzeit einzuhalten, wurde außerdem vorübergehend am Wochenende und im Dreischichtbetrieb gearbeitet.
Mit der Ausstellung „Das zerbrechliche Paradies“ wurde das frisch sanierte Industriedenkmal nach zwei Jahren Bauzeit wiedereröffnet. 16,4 Millionen Euro netto flossen in die Sanierung, die vom Bund, dem Regionalverband Ruhr sowie dem Land Nordrhein Westfalen gefördert wurde.